MySports-Experte Ueli Schwarz nimmt in seinem neusten Blog «Schwarz oder doch Wiis?» die Arbeit im Nachwuchs genauer unter die Lupe. Der Vergleich mit Schweden öffnet dabei wohl einige Augen von Eishockey-Interessierten.
Die NL-Saison ist noch jung – erste Konturen und Tendenzen der einzelnen Teams sind feststellbar. Tendenzen sind aber wie das Wetter – mal so und mal anders, mal heiss, mal kalt, mal stürmisch mal stabil. Eine dieser Tendenzen ist, dass bisher erfreulich viele Junge eine Chance erhalten haben, entgegen all den Unkenrufen, dass dies mit der Ausländerregung nicht möglich sei. Also alles gut oder was?
Zum Start in die Meisterschaft sind erfreulicherweise einige neue Gesichter in der NL aufgetaucht. Welchen Werdegang haben sie hinter sich?
Thierry Schild (Nachwuchs U15-U20 SCB), Brian Zanetti ( Nachwuchs Lugano, ab 16 2 Jahre Juniorenhockey Nordamerika ), Noah Meier ( Nachwuchs ZSC/GCK & SL ), Liekit Reichle ( Nachwuchs ZSC/GCK / 1 Jahr Nordamerika/ SL ), Mischa Ramel Nachwuchs (Basel bis 15, Nachwuchs Kloten/ MyHockey League und SL), Matthew Kellenberger ( Nordamerika bis 21 ), Maximilian Streule ( Nachwuchs ZSC/GCK/ 2 Jahre Nordamerika ), Theo Rochette ( Nachwuchs Lausanne / 5 Jahre Nordamerika), Manix Landry (Nordamerika ), Simone Terraneo ( Nachwuchs Ambri / SL ), Tommaso DeLuca (Nachwuchs Ambri / 1 Jahr Nordamerika ), Rico Gredig ( Nachwuchs Davos ), Mattew Verboon ( Nachwuchs Servette / 4 Jahre Nordamerika ), Lorenzo Canonica ( Nachwuchs Lugano / 3 Jahre Nordamerika ), Cole Cormier ( Nordamerika ), Vinzenz Rohrer ( Nachwuchs ZSC/GCK/ 2 Jahre Nordamerika ), Danill Ustinkov (Nachwuchs ZSC/GCK/SL ), Leon Muggli (Nachwuchs ZUG), Tim Muggli ( Nachwuchs Zug/SL), Attilio Biasca ( Nachwuchs Zug/ SL / 3 Jahre Nordamerika )….
«Auffallend viele» wird der erfreute Positivdenker feststellen, «auffallend viele, die in Nordamerika waren» der genauer hinschauende Beobachter. Dritte denken «egal, Hauptsache es gibt sie!» Mit der aktuellen Tendenz haben alle recht. Dann ist ja alles gut, oder was?
Eines haben diese Spieler gemeinsam: offenbar sind sie alle bereit und reif genug, um in der National League (NL) in grösseren oder kleineren Rollen eingesetzt werden zu können. Die NL ist das Primeprodukt des hiesigen Eishockeys und sie ist eine reine Resultatliga! Wer nicht gewinnt bekommt Probleme in mannigfaltiger Hinsicht. Resultate liefern begründet viele Jobs und Einnahmen, die zur Einhaltung der Budgets notwendig sind. Der Markt und die Konkurrenz sind unerbittlich. Ein Club ist eine Firma, die im Markt bestehen will und muss. Zu einer guten Firma gehört auch, sich um die Zukunft zu kümmern, also Lernende auszubilden und zur Reife für den harten Kampf im Markt bereit zu machen. Das tun die NL-Clubs mit ihren eigenen Nachwuchsabteilungen. Aber dort wo`s zählt – im Vergleich dazu in der NL-Meisterschaft - gehen in der Berufswelt auch nicht die Lehrlinge hin, sondern diejenigen, die bewiesen haben, dass sie bereit und kompetent - eben reif - sind.
Die NL ist nicht dafür da, Junge zur Reife zu bringen. Hingegen dafür, reife Spieler an ihr Optimum heranzuführen. Das ist eine kleiner, aber entscheidender Unterschied! Nehmen wir mal an, Sie hätten die Schwiegereltern zu Besuch und möchten einen Früchtekuchen backen. Verwenden sie unreife Früchte dazu? Alles klar, oder?
Um die NL zu alimentieren, braucht es also zuerst perfekt strukturierte Nachwuchsarbeit und darauf aufbauend Gefässe, wo die Spieler zu dieser notwendigen Reife geführt werden.
Die Nachwuchsarbeit
Reife Spieler für 14 NL-Teams sollen in unserem System aus 14 U20 Elit- und 13 U17 Elit-Teams hervorgehen. Daneben aber sollen auch die Swiss League SL mit 10 und die My Hockey-League MHL mit 14 Teams alimentiert werden. Stolze 38 Teams brauchen also Spieler.
Die Strategie der Nachwuchsligen müsste in der Konsequenz darauf ausgerichtet sein, Top Talente zu fördern und eben auch darauf, eine möglichst grosse Breite ans Erwachsenenhockey führen zu wollen. Mich beschäftigt angesichts der Nachfrage nach Spielern in den Erwachsenenligen die Frage, ob wir mit unserem extrem frühen Selektionsprozess im Alter von 14 Jahren auf dem richtigen Weg sind? Von schweizweit 24 U15 Elit Teams werden 11 Teams strukturell wegradiert und nur deren 13 U17 Elit Teams werden fortan unter professionellsten Voraussetzungen in den Nachwuchszentren der NL weiter gefördert. Der Zeitpunkt der Selektion ist gerade in diesem Alter höchst diffizil, nein gar unmöglich! Wer den Cut schafft, wird mit mehrjährigen Ausbildungsverträgen festgezurrt, ins Schlaraffenland der professionellen Nachwuchsorganisationen gebettet und nur noch ganz wenig Konkurrenz ausgesetzt. Wer aber da den Cut nicht schafft, wird quantitativ und qualitativen einen so grossen Schritt zurück machen müssen, dass er es kaum je mehr schaffen kann, im Spitzeneishockey eine Chance zu erhalten. Die Drop-Out Quote – im schlimmsten Fall das Aufhören mit dem Sport – ist genau hier sehr gross und dem aktuellen System geschuldet.
Fast überall auf der Welt gibt’s U10, U12, U14, U16, U18 und U20 Meisterschaften und nicht U11, 13,15,17 und dann gleich die U20 wie bei uns. Der Übertritt in die nächstobere Alterklasse erfolgt also schon mal rein altermässig und damit biologisch ein Jahr später. Im Vergleich zu Schweden macht sich ein weiterer wesentlicher Unterschied bemerkbar: In Schweden z.B. spielen «nur» 16 U16-Teams auf höchstem Level, weitere 27 Teams auf zweithöchstem Level und nochmals weitere 126 Teams auf der dritthöchsten Stufe. Man fördert also ausgesprochen breit und vorallem regional. Während bei uns nach der U15 wie erläutert massiv reduziert wird, stockt Schweden das höchste Level nach der U16 auf 20 Teams auf und führt auf zweitem Level weitere 48 (!) Teams. Interessant dabei ist, dass 18 der Top Level Teams gleichzeitig eine zweite Mannschaft im zweiten Level führen. Die professionell geführten U18 Organisationen behalten also je rund 50 Spieler plus Torhüter im System und fördern sie unter besten Voraussetzungen weiter! Das sind landesweit rund 900 Feldspieler plus Torhüter verteilt auf 2 Jahrgänge! Bei uns sind es auf Stufe U17 Elit vielleicht noch rund 320 … Kein Wunder versorgt Schweden nebst der NHL, der SHL fast jede andere Liga im Eishockey mit Spielern, während wir Mühe haben, genügend fähige NL-, SL und MHL-Spieler für 38 nationale Teams herauszubringen. Es sei noch bemerkt, dass bei uns der Sprung von der U17 in die U20 ( wo ja auch noch eine limitierte Anzahl U22-Spieler mitspielen kann) oft auch noch einmal dazu führt, dass gewisse Spieler dann diesen Schritt nicht überstehen…
Meine Folgerung daraus ist unmissverständlich: wir können es uns nicht leisten, im zarten Alter von 14 Jahren fast die Hälfte eines Jahrgangs rein systembedingt schon zurückzustufen – das ist reiner Luxus.
Auf die Nachwuchsarbeit aufbauende Gefässe
Wie die Liste der Debutanten zeigt, gibst selten Spieler, die direkt den Sprung aus der Nachwuchs-abteilung in die NL schaffen. Es braucht also darauf aufbauende Gefässe, die den Übergang ins Erwachsenenhockey vollziehen helfen. Die beste Liga der Welt – die NHL – macht es nicht anders: erst wer wirklich bereit ist, da zu spielen, bekommt auch seine Chance. Reifen müssen die Spieler in unteren Ligen, die strategisch darauf ausgerichtet und reguliert sind, auszubilden und Spieler zur Reife zu führen.
Damit sind wir bei einer Kernfrage, die mich beschäftigt: wo und wie sollen unsere jungen Spieler die notwendige NL-Reife erlangen? Beim Betrachten der Debutanten-Liste wählt eine grosse Anzahl Nordamerika als Variante. Ist das der beste Weg und warum wählen ihn denn so viele? Der Traum der NHL mag bestimmt eine Rolle spielen, aber ist «flüchten» - was bei Weitem aus verschiedensten Gründen nicht alle können - der beste Weg? Vielleicht schon, aber es muss doch auch bei unseren heimischen, guten Voraussetzungen möglich sein, diese Reife zu erlangen. Meiner Meinung nach gibt es da viel Luft nach oben, weil es dem Schweizer Eishockey an einer klaren, gemeinsamen und breit abgestützten Strategie wie Junge zur Profi-Reife geführt werden sollen, mangelt. Viele Partikulär-Interessen und unterschiedliche Überzeugungen prägen aktuell die Szene.
Es gibt Leute, die sagen, die Swiss League SL müsse Spieler zur Reife bringen. Dieser Ansatz gefällt mir grundsätzlich. Schauen wir in die Hockeywelt hinaus: der Unterbau der NHL ist die American Hockey League. Sie ist klar so strukturiert und reguliert, dass es eine zwar kompetitive, aber «junge» Erwachsenen-Liga ist, wo sich Talente zur NHL-Reife entwickeln können. Sie limitiert den Einsatz von «Veterans» (interessanterweise nicht für Goalies) um genügend Raum für Junge zu haben. Bei uns gehen die Ansichten über die Strategie der SL im Gesamtkontext (zu) weit auseinander. In der heutigen SL gibt immer 3-4 Organisationen, die nach dem Aufstieg streben. Das ist legitim. Sie verschreiben sich aber so zu 100% dem Resultatdenken und ein junger Spieler der reifen muss, kriegt kaum je genügend Eiszeit und Verantwortung. Die anderen Teams hingegen können Jungen schon eher diese Möglichkeiten bieten – zumindest im Spielbetrieb. Im Trainingsbetrieb – vor allem neben dem Eis – müssen die Jungen aber sehr konsequent und eisern auch individuell dranbleiben, denn sie wollen ja besser werden, hohe Ziele erreichen und müssen somit mehr und besser arbeiten, als der Durchschnitt dieser Teams.
In meinen Augen wäre es ein USP der SL, Spieler ins Erwachsenenhockey zu führen und sie zur Reife zu entwickeln. Klar ist: Ausbildung ist immer auch eine Investition und wird erst zur Rendite, wenn sie erfolgreich ist. Da könnte eben auch ein finanzieller Anreiz der SL liegen. Dass dieser Weg funktionieren kann, zeigt das Beispiel der GCK Lions eindrücklich. Hätten wir mehr GCK Lions, würde die Welt für Junge schon anders aussehen. Ein klares strategisches Bekenntnis dazu, was die SL im ganzen System für eine Rolle ausfüllen soll, fehlt aber. Einzelne Clubs lebens so, andere anders. Das ist legitim, zeigt aber auf, dass eben Partikulär-Interessen einer klar ausgerichteten Liga-Strategie vorgehen. Es ist eine der zentralsten strategischen Aufgaben im Schweizer Eishockey diesbezüglich die Rolle und die Präsenz der SL zu stärken!
Es gibt Leute, die sagen, die MyHockey League MHL solle Spieler zur Reife bringen. Für mich kann das ein Zwischenschritt vor dem Schritt in die SL sein, es doch noch zur NL-Reife zu schaffen. In der Praxis handelt es sich hier jedoch eher um Einzelfälle. Die Spieler in der MHL sind dem Leistungssport zugeneigte «Amateure», die neben dem Eishockey einer geregelten Arbeit nachgehen (müssen) und durch das eine bewundernswerte Parforce-Haltung haben. Will ein Junger es weiter nach oben schaffen, muss er mehr, qualitativ besser trainieren als gestandene MyHockey League-Spieler. Es darf sich da keine Schere öffnen zu jungen Spielern, die in der NL oder der SL unter mehrheitlich professionellen Voraussetzungen quantitativ und qualitativ trainieren können.
Definiert und positioniert man die MHL auch noch als Ausbildungsliga und als Steigbügelhater ins Profi-Eishockey, eröffnet das eben auch die Gefahr der zu frühen Aushöhlung der Nachwuchsligen.
Da kommen bei mir gleich die nächsten Fragen auf: können die SL und die MHL mit genügend guten Spielern aus dem Nachwuchs heraus alimentiert werden? Aktuell würde ich das eher negativ beantworten. Für mich wäre sinnvoller, die SL und die MHL zu fusionieren und mit einer klaren Ausbildungsstrategie zu führen. Wäre ich einen Tag lang Alleinentscheider, ich würde das angehen! Wenn ich jetzt erklären möchte, wieso, käme ich nicht mehr aus dem Schreiben heraus. Das allein wäre ein Blog wert, den ich vielleicht später mal in Angriff nehme.
Eingangs stellte ich die Frage «Alles gut, oder was?». Klar und deutlich: «Nein»! Nicht dass alles schlecht wäre, aber das Optimum wird nicht ausgeschöpft. Am Anfang von Veränderungen und Optimierungen, sollte eine klare, übergeordnete Ausbildungs-Strategie stehen, die letztlich allen Stakeholdern zuträglich wird. Ich sehe sie nicht. Liegt es nur daran, dass ich seit ein paar Jahren Brillenträger bin?