Die grosse Analyse des NHL Drafts 2023

Bevor ich auf meine Gewinner/Verlierer des NHL-Drafts eingehe, zwei, drei Worte zum neuen Vertrag von Timo Meier mit den New Jersey Devils. Es ist der erwartete und für Timo auch verdiente Vertrag, mit psychologischen Nuancen, die beide Parteien als Gewinner aussehen lassen. Die Devils können sagen, dass sie Timo Meier zu einem Durchschnittssalär knapp unter 9 Mio unter Vertrag nehmen konnten und dies für 8 Jahre. Timo darf sich in der grosszügigen Rhetorik als einer der nicht sehr zahlreichen 9-Mio Spieler betiteln. Timo Meier und die New Jersey Devils: Es ist angerichtet. Die «Schweizer» Franchise wird sich in den kommenden Jahren zum ernsthaften Stanley Cup Contender entwickeln und die Schweizer Fraktion mit Hischier, Meier, Siegenthaler und Schmid sitzt mindestens mit Hischier und Meier nicht nur im Seitenwagen, sondern mit am Steuer.

Im Draft hatten die Devils in diesem Jahr keinen Erstrundenpick; dies ist eine fast unmögliche Ausgangslage, um beim Draft zu den Gewinnern gehören zu können. Die Devils schnappten sich immerhin in der zweiten Runde den Finnen aus Pori, Lenni Hämeenaho, als die Nr. 58 overall. Dies ist aus meiner Sicht ein guter Pick, in meinem persönlichen Ranking landete der talentierte Finne als die Nr. 37. Die weiteren Devils Picks sind eher unspektakulär und sie dürfen sich von diesen Spielern nicht allzu viel erhoffen.

Nun zu den Gewinnern des Drafts:

Chicago Blackhawks

Wenn man ein Jahrzehntetalent wie Connor Bedard ziehen kann dann gehört man automatisch zu den Gewinnern des Drafts und dies, ohne jegliche Fachkompetenz abrufen zu müssen. Fachkompetenz war hingegen beim Pick Nr. 19 gefragt und ich bin der Meinung, dass Oliver Moore, der explosivste, schnellste Skater in diesem Draft als Nr. 19 eine exzellente Wahl ist, well done! Die Kombination Bedard und Moore ist «high end». Die Blackhawks werden nach einigen bitteren On- und Off-Ice Jahren mit einem Schlag wieder ernst genommen und das Fundament für mittelfristig grosse Erfolge ist gelegt.

Philadelphia Flyers

Die Flyers hatten den Mut und die Weitsicht, sich mit dem 7th overall Pick, den Super-Russen Matvei Michkov zu «stehlen». Ich bin sicher, dass die GMs der Franchises mit den Picks Nr. 2-6 mindestens mit latenten Bauchschmerzen die Entwicklung des Matvei Michkov in den nächsten 2-3 Jahren verfolgen werden. Falls er das hält, was ich mir von ihm verspreche, dann werden sich diese GMs harte Fragen gefallen lassen müssen. Die Flyers haben einen ähnlich talentierten Scorer wie Bedard mit dem siebten Pick erschlichen und obwohl ich die Folgepicks der Flyers nicht besser als mittelmässig beurteile, zähle ich die Flyers zu den Gewinnern dieses Drafts. Dies auch aus einem mittelfristigen Grund: Die Blackhawks werden dank den jüngsten Trades und jetzt mit Bedard schnell deutlich konkurrenzfähiger sein als in dieser Saison und somit ist ein sehr früher Draftpick im 2024 und 2025 nicht sehr wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Ducks mit Carlsson und die Blue Jackets mit Fantilli. Auch diese beiden Teams stufe ich in der kommenden Saison deutlich stärker ein.
Bei den Flyers hingegen waren bereits im Vorfeld zum Draft gewichtige Abgänge zu verzeichnen (Hayes, Provorov), sie bekennen sich radikal zum Rebuildteam und verzichten mit dem «Mittelfristprojekt Michkov» auf kurzfristigen Qualitätsgewinn im Kader. Was diese bedeutet? Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden die Flyers auch in den nächsten zwei Jahren sehr, sehr früh draften können und es warten in den Jahren 2024 und 2025 mindestens an der Spitze hervorragende Talente. 

Die Verlierer:

Arizona Coyotes

Arizona hatte mit den Picks 6, 12 und 38 eine sensationelle Ausgangslage und hat sie aus meiner Sicht nicht gut genug genutzt. Simashev als Nr. 6 ist die noch viel grössere Ueberraschung als die Nr. 5 Reinbacher und mit der 12 wählten die Coyotes wiederum einen Russen, Daniil But. Simashev und But sind auf meiner Liste beide im letzten Drittel der ersten Runde angesiedelt; gute Talente, zweifelsohne, aber waren es die «best player available»? Nein, nicht aus meiner Sicht. Ich bin sehr gespannt, ob ich mich mit dieser Einschätzung in 3-5 Jahren krass hinterfragen muss oder ob dies dem Coyotes GM vorbehalten sein wird. 

Montreal Canadiens

Die Habs schnappen sich Reinbacher mit dem fünften Pick und gehören zu den Verlierern? Ja, ich sehe dies so. So gern ich Reinbacher mag, so sehr bürdet ihm jetzt eine grosse Last. Die Erwartungen an einen 5th overall Pick sind extrem hoch, vor allem auch in Montreal. Reinbacher ist für mich eine defensive Wahl der Habs, man weiss genau was man bekommt mit Reinbacher und dies ist zweifelsohne sehr wertvoll, aber ist es so wertvoll, dass man hierfür einen 5th Overall-Pick opfert? Ich meine nein und beurteile diesen Pick als etwas zu früh und auch hier: Aus meiner Sicht war er als die Nr. 5 nicht «the best player available»

Die Schweiz

Ein weiteres, allerdings nicht unerwartetes Draftdebakel setzte es für die Schweiz ab. Einzig Rodwin Dionicio, der Offensivverteidiger von den Windsor Spitfires, OHL, hat als 5. Rundenpick der Anaheim Ducks die Schweizer Ehre wenigstens gerettet. Wir müssen Klartext reden. Die Schweizer Draftmisere hält an und wir müssen uns dem Vergleich z.B. mit den Slowaken, den Deutschen und Belarus stellen: Hockeynationen, bei denen nicht wenige heimische Beobachter noch immer glauben, dass sie hinter uns klassiert sind. Here we go: Anzahl NHL Draftpicks 2023: Schweiz 1 – Slowakei 8 – Belarus 5 – Deutschland 3. Das ist die bittere Realität. Immerhin gibt es einen Silberstreifen am Horizont. Aus heutiger Sicht erwarte ich im 2024er NHL Draft 3-6 Schweizer Picks; nach vielen, vielen dürren Jahren zeichnet sich für einmal wieder ein recht guter Schweizer Draftjahrgang ab. 

Das Schöne am Draft sind immer die Experten, die, wie ich, meinen, alles besser zu wissen, deren Aussagen aber in 3-5 Jahren evaluiert werden können. Die Coyotes und die Habs als Draftverlierer 2023? Mein Respekt ist gross vor dem Urteil in der Zukunft, denn demütig müssen wir konstatieren, dass unsere subjektiven wie auch die objektiven (Analytics) Beurteilungsgrundlagen nur Wahrscheinlichkeiten präsentieren. Selbst die ausgeklügelsten analytischen Daten offerieren «nur» Scheingenauigkeiten und auch die erfahrensten «Eye Test-Scouts» tappen viel mehr im Dunkeln als viele Beobachter vermutlich glauben. 

  


Thomas Roost

Thomas Roost ist seit 1996 NHL-Scout für den Central Scouting Service und verfolgt die beste Liga der Welt hautnah.  Für MySports ist Roost als NHL-Experte & Co-Kommentator im Einsatz. In seiner wöchtenlichen Kolumne «Roosts Ramblings» schreibt er über Themen aus der NHL und der grossen Hockey-Welt.

https://www.thomasroost.com I Twitter: @thomasroost