Text von Ueli Schwarz, Header-Fotos: Andrea Branca / Peter Eggimann / Berend Stettler / Logan Romanens
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Dass die Lausanner- und Zürcher-Löwen die Playoff-Viertelfinals bestreiten, ist schon lange Gewissheit. Dass sie aber auf die SCL Tigers und Kloten treffen, wissen sie erst seit dem Ausgang des verrückten vierten Play-In-Spiels. Die physische Vorbereitung konnten die beiden Erstklassierten der Regular Season in Ruhe ab dem 2. März priorisieren. Nun aber können sie sich auch taktisch mit ihren Gegnern befassen.
Diese Gegner sind zwar schon voll im Playoff-Modus und haben ihr ganz grosses Saisonziel bereits erreicht. Sie sind natürlich durch zwei (SCL Tigers), respektive gar vier Duelle (Kloten) in sechs Tagen physisch stark belastet worden. Doch sie können im Gegensatz zu den Löwen völlig frei und ohne Druck die Viertelfinals anpacken. Kommt es in Anbetracht der Grosskaliber ZSC und Lausanne zu Überraschungen oder besser gesagt zu sportlichen Sensationen? Vorhang auf!
Derbytime im Viertelfinal! Das wird «Hockeyzürich» in den Bann ziehen. Der Titelverteidiger, Champions League Sieger und vor der Saison als klarer Titelfavorit gehandelte ZSC steigt als haushoher Favorit in dieses Duell. Kloten hingegen hat rein gar nichts zu verlieren und kann die Rolle des Aussenseiters und Spielverderbers ohne Druck spielen.
Die ZSC Lions haben grundsätzlich mit dem zweiten Rang die erwarteten Resultate erzielt, auch wenn sie vor der Saison fast einstimmig als Sieger der Regular Season erwartet worden waren. Die Saison des ZSC war jedoch von zwei Besonderheiten geprägt: Erstens war man bis zuletzt in der Champions Hockey League als Titelgewinner engagiert (sechs Gruppen- und sieben KO-Spiele), was zusätzlich physisch fordernd war. Zweitens erfolgte an Weihnachten der ungewollte, gesundheitsbedingte Trainerwechsel von Marc Crawford zu Marco Bayer.
Diese beiden Herausforderungen mussten erst einmal gemeistert und verkraftet werden. Entsprechend gelang dem ZSC eine etwas weniger souveräne Regular Season als noch im Vorjahr, als man mit 109 Punkten den ersten Rang belegte. Diese Saison war das Team mit sechzehn Punkten weniger Zweiter, was sich auch im Verlauf des Finals auswirkte, in dem der ZSC das Game 7 zu Hause bestreiten und den Heimvorteil nutzen konnte.
Der ZSC hatte ab Weihnachten einen sehr dichten Spielplan, mit 23 NL- und drei CHL-Spielen in nur 58 Tagen – praktisch im Zweitagesrhythmus. Dass genau in dieser Zeit der Trainerwechsel erfolgte, gab Marco Bayer wenig Gelegenheit, mit dem Team im Training an seinen Vorstellungen zu arbeiten. Zwölf Niederlagen und eine für ZSC-Verhältnisse oft unbeständige Leistung in dieser Phase waren die nachvollziehbare Quittung dafür.
Kein Beinbruch, aber die absolute Stilsicherheit und Souveränität des Vorjahres fehlte. Das zeigte sich vor allem im Powerplay, wo man sowohl effektiv als auch analytisch bei weitem nicht das erwartete Ergebnis erreichte. Die verdiente Vorbereitungsphase seit dem 2. März bietet nun Gelegenheit, daran zu arbeiten. Es wird unabdingbar sein, dass der hochtalentierte ZSC in diesem Bereich zu alter Stärke zurückfindet.
Credits: Berend Stettler
Kloten heisst der Gegner. Welch eine Überraschung! Wirklich? Gemessen an der Vorsaison und den Einschätzungen vor der Saison ganz bestimmt. Doch betrachtet man das Pflänzchen, das im Laufe der Saison massiv gewachsen ist, sieht das deutlich weniger überraschend aus! Erst ab Mitte Januar schien das Wachstum gebremst. Doch mit einer super Schlussphase, in der man vier Siege in Serie gegen den SCB, den EVZ, die Lakers und die Tigers holte, schnupperte man bis in die 52. Runde sehr realistisch am sechsten Rang.
Allein die Qualifikation für die Play-Ins auf Rang sieben und die damit einhergehenden zwei Chancen, doch noch die Playoffs zu erreichen, war schon ein sehr positives Resultat. Zwar verlor man die Kurzserie gegen die Tigers, doch die Spielweise überzeugte weitgehend, und der Verlust der Serie war aus Kloten-Optik eher unglücklich.
Man raffte sich auf, spielte in zwei Spielen gegen Ambri über weite Strecken sehr gut, stilsicher und solide, und die Tore gelangen. Einziger Abstrich: zweimal verspielte man einen Dreitorevorsprung auf unnötige und spektakuläre Art und Weise. Der Grundstein zu dieser Erfolgsstory wurde aber bereits im Frühling mit wichtigen Personalentscheiden gelegt.
Es begann mit der Ernennung von Riccardo Schödler zum neuen Sportchef, der sich als absoluter Glücksgriff erwies. Er startete mit der Verpflichtung von Ludovic Waeber als Torhüter neben dem bewährten Sandro Zurkirchen. Der Vorteil: Im Gegensatz zum Vorjahr wurde eine Ausländerlizenz für einen zusätzlichen Feldspieler frei, was sich als sehr entscheidend herausstellte.
Dass man dann zwei Lizenzen für ausländische Verteidiger einsetzte, war ebenfalls ein Gewinn. Niku und Grégoire wurden zu echten Teamstützen. Es folgte die Verpflichtung von Daniel Audette – ein Spieler, der die in der Vorsaison schwächelnden Aaltonen/Ojamäki aus einer gemeinsamen KHL-Saison kannte, und das Trio funktionierte hervorragend.
Weiterhin holte Schödler mit Wolf, Diem, Schäppi und Weibel vier Schweizer, die weniger durch individuelles Talent als durch tadelloses Teamwork brillierten und das Team stabilisierten. Mit Marjamäki fand Schödler zudem einen neuen Trainer, der es verstand, dem Team eine Spielweise und eine Ausstrahlung zu verleihen, die Freude machte.
Zuletzt gab es noch die Herkulesaufgabe, den Abgang von Aaltonen zu lösen. Pontus Aaberg – einer der ganz grossen Figuren der Play-Ins – war ein weiterer sehr guter Entscheid. Auf diesem Boden der klugen Personalentscheidungen ist dann gewachsen, was viele überrascht hat, aber je länger die Saison dauerte, desto weniger überraschend wurde. Dass Kloten nun im Playoff steht, ist daher durchaus richtig und verdient.
Credits: Andrea Branca
Rein vom Potential und der Playoff-Erfahrung her betrachtet ist der ZSC in diesem Viertelfinal haushoher Favorit. Man kann es drehen, wie man will: In allen Kaderbereichen gilt es, den ZSC zu favorisieren.
Andererseits hat Kloten gerade im Endspurt der Regular Season und auch über weite Strecken der Play-Ins sehr gutes, gepflegtes und stilsicheres Eishockey gezeigt und ist natürlich voller Mumm und Selbstvertrauen. Kommt dazu, dass die Derbyresultate in dieser Saison äusserst knapp ausfielen und Kloten den Stadtzürchern alles abverlangen konnte.
Die Frage wird sein, wie rasch der ausgeruhte ZSC nach der ungewohnt langen Pause in den Rhythmus kommt und die ihm zu attestierende, aber nicht immer souveräne Stilsicherheit findet. Der ZSC trifft nun, wie schon letztes Jahr, in den Viertelfinals auf ein Play-In-Team, das in wenigen Tagen vier harte Duelle zu bestreiten hatte – damals Biel, jetzt Kloten.
Die Erfahrung aus der letzten Saison zeigt, dass das Kräfteverhältnis je länger die Serie dauert, eine grössere Rolle spielen wird. Nichts ist unmöglich – aber würde sich Kloten durchsetzen, wäre das sportlich ultimativ eine Überraschung.
Lausanne hat in dieser Regular Season seine Vorsaison mehr als eindrücklich bestätigt. Da war nach dem letztjährigen Höhenflug nichts von Selbstzufriedenheit zu spüren, ganz im Gegenteil. Das Team lieferte sowohl in der CHL-Gruppenphase (leider dann weniger in den Playoffs) als auch in der NL ab, wo man absolut verdient auf Rang eins landete und sich somit auch wieder für die Champions Hockey League qualifizierte. Diese nochmalige Steigerung, der Umstand, dass man mit Djoos/Pilut ein Top-Verteidigungspaar und mit Hughes den überragenden Finalgoalie verlor, löst noch mehr Respekt aus.
Dass Lausanne es wagte, auf zwei junge Schweizer Torhüter (Pasche/Keller) zu setzen, war mutig, aber hat sich zumindest bis zum Playoffstart voll ausbezahlt. Lausanne war das beste Heimteam der Saison, spielte fünf gegen fünf sehr solid, war oft tore- und leistungsmässig besser als seine Gegner und hatte jeweils das zweiterfolgreichste Power- und Boxplay. Die hingelegte Konstanz – man verlor nie mehr als drei Spiele in Serie, hatte aber eine Serie mit acht Siegen in Folge – war ebenfalls herausragend. Das überzeugte in jeder Hinsicht und sicherte dem Team für jede nun anstehende Serie das Heimrecht.
Man muss dem unaufgeregten, sehr zielgerichteten und sehr überzeugenden Headcoach Geoff Ward und seiner Crew sowie dem General Manager John Fust hohe Achtung für diesen Parcours schenken. Nach Jahren der Irrungen, Wirrungen, Eigentümer- und Finanzeskapaden ist etwas sehr Solides entstanden. Dass kurz vor Torschluss mit Dominik Kahun ein Spieler zugezogen werden konnte, der nachweislich in dieser Liga sehr dominant sein kann, untermauert die Stärke und die Ambitionen der Waadtländer.
Wer Meister werden will, muss Lausanne besiegen oder hoffen, dass es sonst jemand tut. Für den nun anstehenden Viertelfinal gegen die SCL Tigers jedenfalls gibt’s damit einen turmhohen Favoriten. Das ist keine Garantie für Lausanne, aber mindestens ein Grund dafür, die Aufgabe voller Selbstvertrauen anzupacken.
Credits: Dider Charles
Hätten die Wettfreaks vor der Saison auf die SCL Tigers als Playoff-Teilnehmer gewettet, könnten sie sich je nach Wetteinsatz auf einen tollen Ausgang, ein sehr feines Essen, ein cooles Weekend oder auf eine Shopping-Tour freuen. Die Qualifikation für das Viertelfinal-Duell gegen Lausanne ist die Krönung einer tollen Tigers-Saison, aber auch die Fortsetzung einer schrittweisen und steten Entwicklung im Emmental.
Blenden wir sechs Jahre zurück in die Saison 2018/2019. Vier Jahre nach dem Wiederaufstieg in die National League brach im Emmental wieder Euphorie aus. Es war unter Trainer Heinz Ehlers die Topsaison der Tigers in jüngerer Vergangenheit. Die Tigers belegten mit 78 Punkten aus fünfzig Spielen den hervorragenden sechsten Platz in der damaligen Zwölferliga. Im Viertelfinal unterlag man dann nach heroischem Kampf Lausanne erst im Spiel sieben. Die Zitrone war aber rückblickend ausgepresst, und es folgte ein vergleichbar jäher Rückschritt in der Saison 2019/2020 mit Rang 11. In der Konsequenz folgte die Trennung von Ehlers und die Pandemie setzte den Tigers schwer zu.
Der bisherige Assistent Rikard Franzén übernahm, aber der sportliche Output war unter den schwierigen Voraussetzungen noch schlechter als im Vorjahr. Es folgten erneute Trainerwechsel und Sportchefwechsel im Jahr 2021: O'Leary für Franzén, dann später in der Saison Yves Sarault für O'Leary. Sportchef Marc Eichmann musste Pascal Müller weichen. Der heutige Erfolg hat seinen Ursprung am Ende der Saison 21/22: Mit dem neuen Sportchef und dem neuen Headcoach Thierry Paterlini folgte ein Duo, das nach anfänglichen Schwierigkeiten und einer sportlich ganz heiklen Saison 22/23 (man rettete sich erst im Playout gegen Ajoie vor der Ligaqualifikation!) auf einen erfreulichen Weg der Konstanz und des Fortschritts eingebogen ist.
Die aktuell laufende Saison bedeutet einen immensen sportlichen Fortschritt: Rang acht, mehr Tore erzielt und vor allem viel weniger Tore zugelassen – 50% weniger im Unterzahlspiel – sowie ein positives Torverhältnis sind gleichzeitig Lohn für die Beharrlichkeit unter Paterlini/Müller und der Beweis dafür, dass sich konstante, geduldige und konsequente Aufbauarbeit lohnt. Dass gerade in der äusserst heissen Schlussphase der Regular Season, wo Wimpernschläge über die Ränge sechs bis dreizehn entschieden haben, das Team gewichtige Ausfälle wie Charlin, Baltisberger und Saarijärvi wegstecken konnte, ist ihm sehr hoch anzurechnen.
Die Hürde Kloten im Play-In – ein Team, gegen das man stets verloren hatte – konnte man mit dem nötigen Glück und nicht zuletzt dank des «Charlin-Ersatzes» Boltshauser überspringen. Das Duell gegen Lausanne konnte man nun in Ruhe physisch, taktisch und mental vorbereiten. Die Spiele gegen Lausanne waren in dieser Saison zwar meistens sehr knapp, aber es gelang den Tigers nie, Lausanne zu besiegen.
Credits: Simon Bohnenblust
Die Tigers haben rein gar nicht zu verlieren, Lausanne hingegen schon! Man kann es drehen und sehen, wie man will, Lausanne ist der turmhohe Favorit. Die Waadtländer verfügen über ein hervorragendes Kader mit vielen Elementen, die den Unterschied machen können. Zudem ist die Heimstärke zu erwähnen.
Will Langnau die Serie sensationell gewinnen, muss man mindestens einmal im Hexenkessel der Vaudoise Arena gewinnen, am besten im ersten oder dritten Spiel der Serie. Lausanne ist ein Krösus der Liga und verfügt über ein ungleich viel höheres Budget. Die souveräne Regular Season darf Lausanne viel Selbstsicherheit geben, aber damit alleine ist nichts zu holen.
Nichts gegen die Tigers, aber Lausanne selbst ist der mindestens gleich gefährliche Gegner wie sie. Das Team müsste einen grossen Leistungs- und Einstellungsabbau verzeichnen, um die Serie zu verlieren. Sollten sich im Laufe der Serie solche Phasen ergeben, wird Langnau blitzschnell zuschlagen müssen.
Die starke Tigers-Defensive inklusive des Unterzahlspiels wird hart gefordert und wohl der Schlüssel dafür sein, ob die Tigers den Löwen einen offenen und langen Kampf liefern können. Es darf aber davon ausgegangen werden, dass Headcoach Ward die Löwenköpfe schon richtig eingestellt hat.
Viele – nicht nur in Lausanne – denken: „Die Tigers haben keine Chance!“ Doch halt, ist eventuell gerade das ihre Chance?