Kann Lugano, Zug oder Biel die höchsten Trauben pflücken?

In der Corner- oder Bossard Arena strebt man beim Überstreifen der Matchdresses danach, die höchsten Trauben zu pflücken und den Meistertitel zu gewinnen, auch wenn das nicht leicht umzusetzen ist, wie man in Lugano und Zug erfahren hat. In der Tissot Arena geht es hingegen darum, sich als neues Team mit jungem Kader und neuem Coach zu finden und feststellen, wie hoch man die Trauben ohne einige bisherige «Erntehelfer» pflücken kann.

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Lugano

Der HC Lugano steigt unter Luca Gianinazzi in die zweite vollständige Saison. Unter seiner Ägide spielte man nach einem schwachen Start letzte Saison resultatmässig recht stabil und hatte lange die Aussicht, sich unter den Top 6 zu klassieren. Aber ausgerechnet in den letzten Spielen rutschte man in eine Mini-Loch, indem man vier der letzten fünf Partien der Regular Season verlor und letztlich den sechsten Platz an den HCD verlor. Das bescherte Lugano im Play In ein fünftes und sechstes Tessinerderby um die Playoff-Qualifikation. Gerade im ersten Spiel schien der Abwärtstrend seine Spuren hinterlassen zu haben, lag man doch in Ambri nach 25 Minuten 0:4 im Rückstand. Doch was dann geschah, zeigte die neu gewonnene Mentalität unter Gianinazzi. Man glich das Spiel aus und setzte sich dann im zweiten Spiel durch. Im Viertelfinal dann forderte man Fribourg alles ab und musste sich letztlich erst im Spiel sieben beugen. Die von Gianinazzi entwickelte Mentalität und Spielweise war erfreulich und im Fall von Lugano letztlich wohl wichtiger als das nackte sportliche Resultat der Saison. Denn das sicherte Gianinazzi den Job und damit bewahrt der Club die über Jahre so dringend vermisste Kontinuität. Gianinazzi nutzte das, um einige gewichtige Retuschen im Kader zu veranlassen. Zuerst in seinem direkten Coaching Umfeld, wo er neben dem Assistenten-Duo Cantoni / Kaskinen neu Paolo Della Bella für die Goalies und den bisherigen U20 Headcoach Paolo Morini in den Staff installierte. 

Eine gewichtige Entscheidung hat man neben Niklas Schlegel im Tor getroffen, indem man auf einen Ausländer auf der Goalieposition zu Gunsten eines Feldspielers verzichtet und Joren Van Pottelberghe verpflichtet hat. Reagiert hat man auch in der Verteidigung. Mit David Aebischer von den Lakers und Carl Dahlström anstelle von LaLeggia, Tennyson und Wolf holte man zwei neue Verteidiger, die im Umgang mit der Scheibe etwas mehr und nötige Zuverlässigkeit ins Team tragen sollen. In der Offensive stossen mit Sekac und dem tschechischen «Riesen» Radim Zohorna zwei physische Spieler anstelle des letztjährigen Langzeitverletzten Granlund und dem enttäuschenden, aus seinem weiterlaufenden Vertrag entlassenen Ruotsalainen zum Team. Diese beiden Wechsel bringen vor allem auch deutlich mehr Physis ins Team. Mit den drei Bisherigen Arcobello, Joly und Carr stehen Gianinazzi also fünf ausländische Offensivkräfte zur Verfügung. Man hofft damit umgehen zu können, dass man wie letzte Saison zehn (!) Ausländer unter Vertrag nehmen musste. Ein Aufatmen gab es, als Calvin Thürkauf seine NHL-Pläne im Sommer verworfen und dem Club seine Zusage für die Zukunft gegeben hat. Daneben gabs ausser dem Rücktritt von Walker und dem Wechsel von Jeremi Gerber kaum Wechsel. Das könnte bedeuten, dass die Stunde für die jungen Canonica (2003), Cjunskis (2003), Cormier (2002), Verboon (2000), Zanetti (2002) und Patry (2000) geschlagen hat.

Was liegt sportlich für Lugano mit diesen Voraussetzungen in der Saison 2024/2025 drin ?

Das Team wird sich weiter entwickeln und an seiner Gianinazzi DNA arbeiten. Alleine das wird aber im Jahr zwei seiner Aera wohl kaum genügen, denn die Aufwendungen im Tessin sind traditionell hoch und da müssen zwangsläufig auch Resultate folgen. Eine Top 6 Position und ein Vorstossen in den Halbfinal dürfte die interne Messlatte für den eingeschlagenen Weg sein, obwohl man in Lugano bemüht ist, eher wenig von ganz grossen Zielen zu reden und dafür das Versprochene zu übertreffen. Gemessen aber an der Tradition und den jeweiligen Investitionen  muss man davon ausgehen, dass man halt schon mit der Intention ins Rennen steigt, ein Wort um den Titel mitreden zu können.

Lugano wird gut daran tun, sich aber vorerst einmal auf die Top 6 als Minimalziel zu fokussieren. Das wird schwierig genug, denn dann müsste man mindestens ein Team aus dem Sextett ZSC, Fribourg, Lausanne, Zug, Bern und Davos ebenso hinter sich lassen können, wie zum Beispiel das auf Wiedergutmachung ausgehende Servette oder ein wie jedes Jahr eher überraschendes anderes Team. Die Trauben hängen hoch und schon diese Aufgabe allein ist sehr herausfordernd, aber machbar. Marge oder Garantien dafür gibt’s wenig. Lugano wird sich also kaum schwache Phasen oder Nachlässigkeiten erlauben können, ansonsten es wieder in den Play Ins landet. Das Gelingen der Regular Season wird daher für die fernere Zukunft und den Bianconeri-Seelenfrieden -sprich für die Playoffs, wo die Trauben dann sehr hoch hängen, entscheidend wichtig sein. 

Zug

Zug schaut auf zwei für seine Verhältnisse eher enttäuschende Saisons zurück. 22/23 erreichte man die Top 6 «auf dem allerletzten Ticker», setzte sich im Viertelfinal zwar noch gegen die Lakers durch, schied aber im Halbfinal gegen den später Meister diskussionslos aus. Wer glaubte, dass das in der Saison 23/24 zu einer vehementen Reaktion komme, sah sich getäuscht. Die letzte Regular Season war sehr durchzogen. Zum Start und lange in den Winter hinein schien alles auf besten Wegen, aber der EVZ fiel im Februar in ein Riesenloch und verlor neun der letzten zehn Spiele. Es schien dass man sich im Viertelfinal wieder fand (4:3 Siege vs SCB), aber wie im Vorjahr war man im Halbfinal gegen den späteren Meister ZSC chancenlos und schied aus. Die Spielkultur mit der Scheibe war noch immer recht hoch, das vorherige Markenzeichen der Konstanz aber ist in den letzten Jahren doch etwas verblasst. Wie kann man das zurückgewinnen? Im Staff fliesst neben Tangnes / Liniger mit dem Schweden Thomas Monten neues Gedankengut ein. Das Kader ist weiterhin hochkarätig, wenn auch nicht allzu tief besetzt.

 

Wer Genoni und neu Wolf zwischen den Pfosten weiss, darf sich schon mal glücklich schätzen. Auffallend ist jedoch, wie sich die neue Verteidigung präsentiert. Drei Ausländer (!) bilden das Fundament: Lukas Bengtsson und Niklas Hansson verfolgen ihre Zuger Karriere weiter und werden ergänzt mit Gabriel Carlsson, der nach mehreren Nordamerikajahren via den Växjo Lakers den Weg nach Zug fand. Zusammen mit Tobias Geisser, Livio Stadler und Dominik Schlumpf, Elia Riva und Leon Muggli gehört diese Besetzung zu den allerbesten der Liga. Die gesuchte Konstanz führt über eine grundsolide Defensivarbeit – personell zumindest ist in Zug alles dafür vorhanden. Wie siehts vorne aus? Die bisherigen Ausländer Kovar (muss sich nach einer durchzogenen Saison steigern!) und Wingerli (war selber ein Ebenbild der mangelnden Konstanz) werden neu ergänzt mit dem tschechischen Weltmeister Daniel Vozelinek und dem schwedischen NHL-Rückkehrer Fredrik Olofsson. Tangnes hat letztes Jahr oft bemängelt, sein Team sei zu brav und mit zu wenig physischer Präsenz aufgetreten. Gerade die Gardemasse der drei neuen Ausländer mit 188, 190 und 195cm lassen darauf schliessen, was man von ihnen und anderen erwartet. Das Prunkstück jedoch ist der Stamm an starken Schweizer Stürmern: Senteler, Simion, Martschini, Hofmann und Herzog sind mehr als arrivierte NL-Stürmer und sie wurden auf die neue Saison hin gar noch ergänzt mit Mike Künzle. Bedenkt man, dass mit Attilio Biasca, Sven Leuenberger und mit dem weiter auf der Suche nach seinem Glück befindlichen Zuzug Nando Eggenberger weitere nicht zu unterschätzende Stürmer zur Verfügung stehen, präsentiert sich auch die Offensive als bestens besetzt. Das Fragezeichen ist die Tiefe. Man verfügt zwar über sieben Ausländer und kann bei Verletzungen oder aus taktischen Gründen in diesem Bereich reagieren. Schaffen aber Nic Balestra oder Colin Lindemann, der aus Schweden zurückkehrt, den Sprung zum Stammspieler? Hat Zug in seinem U20 Kader Stürmer, die reif für die NL sind, wenn Verletzungen im Bereich der Schweizer eintreten? Eine interessante Frage also ist, ob und wenn, wer uns von den jungen Zugern positiv überraschen wird. 

Was liegt sportlich für Zug mit diesen Voraussetzungen in der Saison 2024/2025 drin ?

Ein drittes Jahr mit mangelnder Konstanz in der Regular Season und chancenlosem Ausscheiden in den Halbfinals wird in Zug nicht genügen. Die Erwartungen und die eigenen Ansprüche liegen höher. Die Top vier müssen ebenso Ziel sein, wie bessere Playoffs als in den beiden letzten Jahren. Gemessen an der Kaderbesetzung darf es da keine andere Ansicht geben.

Es ist ein defensiv strukturierterer, konstanterer und physisch präsenterer EVZ zu erwarten. Bleibt das Team einigermassen von Verletzung verschont und sind nachstossende Junioren bereit für die NL, wird der EVZ die Erwartungen erfüllen und wieder ganz vorne mitspielen. Selbst der erfolgsverwöhnte Tangnes wird darauf angewiesen sein, sein Team wieder zu mehr Konstanz führen zu können. Sollte das nicht eintreffen, könnten in Zug jedoch unruhigere Zeiten anbrechen. Einige wichtige Verträge sind auslaufend: Geisser, Stadler, Kovar und Simion. Ein Umstand, der nach dem bereits feststehenden Abgang Simions zu Lugano auch in Zug zu gewissen Nebenschauplätzen führen könnte. Das Kader ist aber bestimmt zu gut besetzt, um die Top 6 zu verfehlen. Abgerechnet wird in Zug aber wohl erst in den Playoffs, denn das Selbstverständnis in Zug ist mittlerweile so, dass nur sehr hoch hängende Trauben auch wirklich schmecken.

 

Biel

In Biel hat der vor längerer Zeit angesagte Umbruch begonnen. Ein paar grosse Namen haben das Team verlassen: Van Pottelberghe, Rathgeb, Forster, Künzle, Kessler, Hischier, Olofsson. Sie wurden mit weitgehend jungen Spielern ersetzt, die nun die Chance haben werden, sich in der Hierarchie nach oben zu arbeiten. So wird im Tor Luis Janett, der junge und zuletzt in der Swiss League überragend aufspielende Goalie Harri Säteri sekundieren. In der Verteidigung eröffnet sich nach den Abgängen von Rathgeb und Forster Spielern wie dem Eigengewächs Gael Christe, Yanik Burren, dem zu Saisonbeginn noch rekonvaleszenten Delémont, Yanick Stampfli, dem Spätzünder Luca Christen und dem Neuzugang Miro Zryd Chancen, sich in der oberen Hierarchie der Verteidigung zu etablieren. Ursprünglich wäre da auch Rodwin Dionicio geplant gewesen. Er hat aber mit einer fantastischen letzten Saison in Übersee die Anaheim Ducks dermassen überzeugen können, dass er dort einen Vertrag erhielt und seine Chance packen will. Wie gut ihm der Start im nordamerikanischen Profisport gelingt, wird sich wohl erst im Spätherbst zeigen. Ob er dann eventuell doch ein Biel Thema wird, steht in den Sternen. Die bewährten Lööv, Iakovenko und Grossmann werden die neue Verteidigung als Routiniers führen. Die Defensive muss sich also zuerst neu finden, hat aber durchaus die Voraussetzungen dazu, den Wechsel in den neuen Abschnitt des EHC Biel zu vollziehen. 

Ein ähnliches Bild zeigt die Offensive: mit Ausnahme von Johnny Kneubühler stossen viele weitgehend noch «unbeschriebene» Blätter dazu. Viel erwarten darf man von Nicolas Müller, der in den USA mehrere Jahre erfolgreich College spielte und nun den Schritt zum Profi macht. Jérémie Bärtschi hat letztes Jahr seine Chance genutzt und sich bestens empfohlen für höhere Aufgaben. Auf seine Entwicklung darf man ebenso gespannt sein, wie auf diejenige von Liekit Reichle, der in der abgelaufenen Saison erste Duftmarken hinterlassen, sich parallel dazu aber auch in der Swiss League weiterentwickelt hat. Für Spieler wie Elvis Schläpfer, Ian Derungs und Ramon Tanner schlägt in dieser Saison definitiv die Stunde der Wahrheit. Sie konnten alle in der letzten Saison ihre Chancen zu wenig packen. Für sie kommt nun die Saison der Wahrheit. Mit Mark Sever (2005) stösst zudem ein Perspektiv-Spieler zum Team, der einiges verspricht. Auch das Eigengewächs Mattheo Reinhard (2004) bekommt die Chance, sich aufzudrängen. Die Routiniers Haas, Hofer, Brunner, Cunti, Kneubühler, Bachofner und je nachdem wie Säteri, Lööv und Iakovenko eingesetzt werden mindestens drei oder gar vier ausländische Stürmer (die bewährten Rajala, Sallinen, Heponiemi und der Neuzuzug Andersson) werden das tragende Gerippe bilden. Gespannt darf man dabei auf den erst 25-jährigen Schweden Lias Andersson sein. Er war ein 1st Round Pick der New York Rangers im NHL Draft 2017 (Nummer 7), hat aber den Sprung in die NHL nie richtig geschafft, obwohl er 110 Spiele spielte. In der AHL hingegen entpuppte er sich als zuverlässiger Scorer. Sein Palmarès liest sich mit einem schwedischen Meistertitel, je einer Silbermedaille bei der U18 und U20, sowie dem Weltmeistertitel mit Schweden 2018 (gegen die Schweiz) durchaus erfolgreich. Er will seiner Karriere nun neuen Schub verleihen.

Mit dem neuen Trainertrio Martin Filander, Mathias Tjärnqvist und Beat Forster werden neue Ideen einfliessen. Der erst 43-jährige Filander hat in Schweden den Ruf gehabt, aus nominell eher unbekannteren Spielern das Optimum herauszuholen. Das gelang ihm vorzüglich, wurde er doch je einmal zum schwedischen Coach des Jahres und zum SHL-Coach des Jahres ausgezeichnet. Das erhofft man sich nun auch in Biel. Als Assistent zur Seite steht ihm der ehemalige NHL-Spieler Mathias Tjärnqvist. Beat Forster kennt das Team und die Verteidiger alle bestens und wird sich nach seiner langen Karriere nun in einer neuen Rolle in erster Linie um die Neuformierung der Defensive und um die Integration der Jungen kümmern.

Was liegt sportlich für Biel mit diesen Voraussetzungen in der Saison 2024/2025 drin ?

Vieles ist neu. Biel muss sich neu positionieren, sich zuerst finden und eine neue DNA aufbauen. Der Prozess des Umbaus verlangt entsprechende Geduld, eine realistische Einschätzung und Demut. Es steht trotz vieler Abgänge immer noch genug Klasse im Kader, um die Jungen bei ihrem Vorhaben sich in der neuen Teamhierarchie festzusetzen zu unterstützen. In Biel hofft man nebst dem internen «Aufstieg» einiger Spieler auch darauf, dass das letztjährige Verletzungspech seinen Weg in die Tissot Arena diesmal kaum findet, da die Wirbelsäule gestandener Spieler doch etwas schmaler geworden ist.

Neuer Elan einer Trainercrew mit neuen Ideen kann auch einiges bewegen. Geduld wird also diese Saison zum Schlüsselbegriff werden. Der EHC Biel ist zudem mit dem EHC Olten eine Partnerschaft eingegangen. Die Kooperation, die auch die Zusammenarbeit mit dem Nachwuchs beinhaltet, sieht einerseits vor, dass Junge ihre Sporen in der SL abverdienen, neue Spieler sich dort für eine Chance in Biels Team aufdrängen können und anderseits der EHC Olten über Talent, Ehrgeiz und damit über viel jungen Drive verfügen wird.

Angesichts der sehr starken Konkurrenz für die Top 6 Plätze, wäre es eine Überraschung, wenn der EHC Biel das schaffen würde. Mit etwas Glück, neuen Spielern, die positiv überraschen, wenig Verletzungspech und soliden Leistungen des Teamgerippes ist nicht ausgeschlossen, zum Überraschungsteam zu mutieren. Eine Platzierung auf den Play In Plätzen ist aber realistischerweise eher zu erwarten. Angesichts der Ausgeglichenheit der Liga ist aber auch das keine Garantie. In Biel wird zumindest im ersten Teil der Saison vor allem auch interessieren, wer sich empfehlen kann, um eben auch höher hängende Trauben zu pflücken.

Diese Tabelle erwartet Ueli Schwarz Ende Saison

Tabelleneinschätzung von MySports Experte Ueli Schwarz für Ende Regular Season 24/25