U20-WM – Nordamerikanische Dominanz?

Mein Lieblingsturnier ist etwas angeschlagen. Mit der Abwesenheit von Russland und Weissrussland nimmt die sportliche Breite des Turniers deutlich ab. Können Schweden, Finnland oder Tschechien in die Bresche springen und die Kanadier und die USA herausfordern? Schafft die Schweiz mehr als die Viertelfinalqualifikation?

Die Positionen sind bezogen. Einmal mehr ist Kanada der Topfavorit und die USA sind Herausforderer Nr. 1. Kanada weist auf dem Papier lediglich Schwächen auf der Goalieposition auf. Die Defense ist gut bis sehr gut und die Forward-Positionen sind sehr gut besetzt. Aehnliches gilt für die USA die nicht nur mit den Topstars Logan Cooley (Arizona Coyotes) und Luke Hughes (New Jersey Devils), sondern auch mit einer Handvoll anderer Topspieler antreten werden. 

Faktor Glück spielt eine Rolle

Können Schweden oder Finnland die Nordamerikaner herausfordern? Ja, das können sie, diese Tatsache ist aber in diesem Jahr vor allem nur dem Turnierformat geschuldet. Nach der Qualifikationsrunde entscheidet sich ab dem Viertelfinal jeweils alles in nur je einem Spiel, d.h. der Faktor Glück spielt eine grosse Rolle und spielt den «Underdogs» Finnland und Schweden in die Hände.

Aufgrund der Qualität im Roster ist es eher nicht zu erwarten, dass die Skandinavier Kanada und die USA besiegen werden. Bei den Schweden fehlen leider die drei besten Verteidiger (Edvinsson, Salomonsson, Havelid), dies ist ein dramatischer Verlust. Im Sturm ist Schweden recht gut besetzt. Die Finnen sind etwas «top heavy» und müssen darauf hoffen, dass ihre offensiven Topshots (Kemell und Lambert), gute Leistungen und vor allem Produktivität abrufen können. Secondary Scoring und die Goalieposition sind kleinere Fragezeichen bei den Finnen. Tschechien ist nicht weit von den beiden Skandinaviern entfernt und hat sicher Ueberraschungspotenzial. 

Und die Schweiz?

Die Schweiz ist einmal mehr auf dem Papier nicht gut besetzt. Beim Studium des Rosters wird bei keinem der Konkurrenten Angstschweiss ausbrechen. Die Schweiz hat hingegen in den Wochen vor der WM im einen und anderen Spiel recht gut performt und wird mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung das Viertelfinale erreichen können, es wird aber kein Selbstläufer. Selbstvertrauen geben auch die Testspielresultate der letzten Woche. Sowohl Tschechien (4:2), als auch Schweden (5:4 n.V.) konnte die Schweiz besiegen.

Gegen die Slowaken habe ich uns theoretisch im Nachteil gesehen, weil jetzt aber bei den Slowaken Slafkovsky nicht mitspielt und die Slowaken in der Vorbereitung nicht eben glänzten, tendiere ich auf ein 50:50-Spiel und gegen die Letten sind wir leicht zu favorisieren. Die Viertelfinalqualifikation ist sehr realistisch, mehr ist bei diesem Turnierformat immer möglich aber leider halt unwahrscheinlich.

Reinbacher: Star der Österreicher 

In der anderen Gruppe bin ich von Deutschland eher positiv überrascht, denn auf dem Papier sind die Deutschen längst nicht mehr so stark wie in den vorangegangenen Jahren. Deutschland überzeugte im Herbst aber mit recht hoher Spielintensität, physischer Präsenz und guter Kampfkraft. Das Roster wurde zudem noch mit dem bei mir hoch im Kurs stehenden Julian Lutz veredelt.

Der «Klotener» David Reinbacher ist der Rosterveredler beim Team Austria. Leider und sehr schmerzlich – wird Marco Kasper (Detroit Red Wings) nicht mittun. Er spielt eine sehr gute Saison in Schweden und wird im April dann wieder für Austria an der WM spielen, dort ist er auch als erst 19-Jähriger bereits der Star. 

Verheissungsvoller Schweizer Jahrgang

Aber zurück zur Schweiz. In diesem wie auch im nächsten Jahr sind keine Jubelsprünge zu erwarten, wie gesagt: Halten wir den Ball flach und lassen uns positiv überraschen. Positiv überrascht hat mich vor einer Woche unsere U17-Auswahl an einem hochkarätig besetzten Turnier in Romanshorn. Ein Licht am Ende des Tunnels: Ein fantastischer Jahrgang 2006 wartet auf uns und die Eishockeywelt.

Die Schweizer haben an diesem Turnier gegen zwei der weltbesten Auswahlen (Schweden und die US-Boys aus dem NTDP-Programm) nicht nur gut mitgehalten, sondern auch Spiele gewonnen; endlich freue ich mich auch aus Schweizer Sicht wieder einmal auf den NHL-Draft und zwar denjenigen im Jahr 2024. Da tummeln sich von vorne bis ganz hinten (Goalies) ca. eine Handvoll Talente, mit sehr guten NHL-Draftchancen. Ich bin gespannt wie ein Tennisschläger, wie sich diese Talente in den nächsten 18 Monaten entwickeln werden.  

Welche Toptalente dürfen wir an der U20-WM bestaunen?

Erfahrungsgemäss ist die U20-WM ein Turnier, in dem Spieler des ältest möglichen Jahrgangs dominieren und trotzdem sind es so genannte «Underager», respektive «Double Underager» auf die ich mich am meisten freue. Spieler, die noch nicht gedraftet sind, aber das Potenzial zum NHL-Star mitbringen. Fünf davon stelle ich kurz vor:

Connor Bedard, Forward, Canada:
Fast ein Jahrzehntetalent. Weltklasseschuss, unterschätzte Spielmacherqualitäten, Handskills, Moves, Dekes, Spielübersicht, er scannt ständig das Eis und sieht Passlinien die andere nicht sehen. Negativ: Etwas «undersized» und in der Defensive im Spiel ohne Scheibe noch verbesserungsfähig. 

Leo Carlsson, Forward, Schweden:
Spielübersicht, Passing, dominant in Puck-Battles, super Handskills, strong on his skates. Skatingspeed und vor allem Beschleunigung sind kleine Fragezeichen.

Adam Fantilli, Forward, Canada:
Physisch bereits top entwickelt. High-End Powerforward, Schuss, Speed, physisch sehr kräftig. Negativ? Etwas ein Hitzkopf, ziemlich smart aber nicht high-end smart. 

Aron Kiviharju, Defender, Finnland:
Unglaublich talentiert und smart mit dem Puck am Stock, Handskills, Vision, Passing, macht Spass, ihm zuzuschauen! Negativ: Klein gewachsen und manchmal betreffend Skating latente Speedprobleme. Kiviharju geht erst 2024 in den NHL-Draft!

Eduard Sale, Forward, Tschechien:
Hoher Skill-Level, Stickhandling, trifft gute Entscheidungen, schnelle Schussabgabe, er mag 1vs1-Situationen mit dem Puck am Stock. Physisch und betreffend Intensität muss er noch zulegen. 

Die Schweizer Spiele können live via MySports verfolgt werden, lasst euch das nicht entgehen!

  


Thomas Roost

Thomas Roost ist seit 1996 NHL-Scout für den Central Scouting Service und verfolgt die beste Liga der Welt hautnah.  Für MySports ist Roost als NHL-Experte & Co-Kommentator im Einsatz. In seiner wöchtenlichen Kolumne «Roosts Ramblings» schreibt er über Themen aus der NHL und der grossen Hockey-Welt.

https://www.thomasroost.com I Twitter: @thomasroost