Was braucht es, damit die Schweiz auch in Zukunft um Medaillen spielt?

Die Schweizer Nationalmannschaft hat in diesem Frühjahr zum dritten Mal eine WM-Silbermedaille gewonnen. In der NHL rocken Roman Josi, Kevin Fiala und Co. im Konzert der besten Eishockeyspieler vorne mit. Die National League boomt und hatte letzte Saison so viele Zuschauer in den Stadien wie noch nie. Alles Friede, Freude, Eierkuchen also? Jein. Während die Gegenwart silbern strahlt, steht das Schweizer Eishockey vor Herausforderungen. Wie schaffen wir es, dass die Nati auch nach der Generation von Josi & Niederreiter um WM-Medaillen kämpft? Über diese und weitere Fragen macht sich Ueli Schwarz in seinem neusten Blog «Schwarz oder doch wiis?» Gedanken.


MySports beleuchtet die grössten Herausforderungen in vier Talksendungen im Juli (jeweils am Freitagabend um 20 Uhr). Unsere Gäste sind unter anderem Nino Niederreiter, Patrick Bloch (CEO SIHF) und Stefan Schärer (Präsident SIHF). 


Welche Schweizer Nationalmannschaft stand in den letzten elf Jahren dreimal in einem WM-Final? Ausser der Eishockeynationalmannschaft kaum eine (Credits an die Curling-Damen)! Es ist ein silbernes – leider noch nicht goldenes – Zeitalter für die besten Schweizer Eishockeyspieler. Drei Spieler-Generationen (die Mitte der 70- bis Mitte der 80-er-Geborenen, dann die Mitte der 80-er bis Mitte der 90-er-Geborenen und nun die Mitte der 90-er-Geborenen und Jüngeren) haben diese erfreuliche Entwicklung Realität werden lassen. 

Offensichtlich hat die Nachwuchsarbeit in der Schweiz seit paar Jahrzehnten auf den ersten Blick einiges richtig gemacht. Das Eishockey aber entwickelt sich rasant und verlangt stete Anpassungen und Verbesserungen im Bereich der Nachwuchsarbeit. Was heute herausschaut, liegt, aus der Optik des Nachwuchses betrachtet, immer rund zehn bis 15 Jahre zurück. Richtiges, Fehlentwicklungen oder Stillstand wirken sich erst Jahre später aus. Es stellt sich also die Frage, ob die Schweiz diesen neuen, hohen Resultat- und Leistungsstandard halten kann. Steht eine nächste, vierte Generation dafür bereit?

Wieso schreibe ich von den «drei Generationen»? Die Spielergeneration ab Mitte der 70-er bis Mitte der 80-er-Jahren hat für die heutige, schöne Realität den Grundstein gelegt. Sie sprach erstmals ganz offen davon, an der WM Medaillen gewinnen zu wollen. Sie wollte nicht einfach mit dem Ziel antreten, den Klassenerhalt zu schaffen. Sie war nicht zufrieden, ehrenvolle Niederlagen gegen die Grossnationen zu erleben, nein, sie ärgerte sich darüber und wollte viel mehr. Sie war es, die erste Pioniere hervorbrachte, die aus dem gemachten Schweizer Nest raus wollten, sich grösstmöglicher Konkurrenz stellen wollte, um die Hockeywelt zu erobern. Daraus resultierten erste grosse internationale Karrieren. Namen wie Jenni, Gerber, Fischer, Streit, Plüss, Aebischer, Stephan, Riesen, Hiller, Von Arx, Ziegler, Vauclair, Blindenbacher und Helbling stehen dafür. Aber auch andere, wie beispielsweise Ambühl, die sich national zu absoluten Leistungsträgern entwickelten. Das Wesentlichste aber: sie inspirierten mindestens die beiden nachfolgenden Generationen, es ihnen gleich zu tun oder sie gar noch zu überflügeln. 

Es folgte mit den Mitte der 80-er bis Mitte der 90-er-Geborenen eine ganze Reihe von Spielern, die den entstandenen Mindset konsequent weiterverfolgten. Einige von ihnen - Berra, Diaz, Josi, von Gunten, Niederreiter, Genoni, Sbisa, Kukan, Cunti, Weber, Andrighetto, Hollenstein, Brunner, Haas, Vermin, Scherwey, Untersander, Simon Moser, Loeffel, Hofmann, Mirco Müller, Bertschy, Corvi - gewannen dann entweder 2013, 2018, 2024 Silber oder spielten erfolgreich im Ausland.

Aus der dritten Generation (Mitte der 90-er geboren oder jünger) sind es aktuell Fiala, Suter, Schmid, Siegenthaler, Malgin, Hischier, Kurashev und Janis Moser. Drei Generationen machten also das dreifache Silber möglich.

Kann die Schweiz diesen hohen Standard halten?

Ich glaube, dass die aktuelle Nationalmannschaft ihren Zenit noch nicht erreicht hat, aber nahe dran ist. Ich bin überzeugt, dass sie uns an den drei anstehenden Turnieren – WM 2025, Olympia 2026 (mit allen NHL-Stars!), Heim-WM 26 – wieder ähnlich stolz machen kann. Es wird aber weder ein Selbstläufer, noch eine Selbstverständlichkeit sein. Wir brauchen dafür unsere NHL-Akteure ebenso auf einem Top-Level, wie die Schweizer Leistungsträger aus der National League.

Es steht aber ein Generationenwechsel an. Nach 2026 muss die Generation mit Jahrgang 2000 und jünger das Team mittragen und prägen können. Ganze 21 der aktuellen Silberhelden 2024 (und dazu unter anderem auch die heuer fehlenden Leistungsträger wie Timo Meier, Pius Suter, Grégory Hofmann und Denis Malgin) werden dann über 30 Jahre alt sein. Klar kann man auch dann noch exzellentes Eishockey spielen – Andres Ambühl, Roman Josi, Leonardo Genoni lassen grüssen. Wir sind aber mehr und mehr darauf angewiesen, dass die Jahrgänge 2000 und jünger sich auf höchsten WM-Niveau bewähren. Akira Schmid, Janis Moser und Lian Bichsel sind weit fortgeschritten und bereits auf entsprechendem Level. Die nächsten Namen jedoch sind noch nicht so weit, müssen es aber unbedingt in den nächsten zwei bis drei Jahren schaffen.

Wir haben schon Spieler, die die Anlagen dazu haben. Das aber wird nicht genügen, denn sie müssen aktuelle und dominante Leistungsträger äquivalent ablösen können. Um längerfristig starke Nachfolge-Generationen haben zu können, sind wir auf ihre Entwicklung genauso angewiesen, wie darauf, dass eine breite Spieler-Fraktion mit Jahrgang 2005 und jünger (sie werden 2030 25-jährig sein) das gefragte Level erreichen wird. Die Ernte der Nachwuchsarbeit der letzten 15 Jahre steht auf dem Prüfstein und was wir heute einleiten und umsetzen, wird in zehn bis 15 Jahren unser sportliches Wohlbefinden bestimmen.

Der kleinste gemeinsame Nenner: «Mehr Spieler braucht das Land !»

Wenige der Allerbesten werden es wohl immer schaffen. Das sind aber zu wenig! Nicht nur die Nationalmannschaft braucht Nachschub, sondern die gesamte Eishockeybewegung Schweiz – egal für welches Niveau oder Funktionen. Ich wage eine forsche Behauptung: Wenn der Hockeyallmächtige uns heute 50 zusätzliche Spieler auf Profiniveau bescheren würde, wären einige Probleme, die das Schweizer Eishockey zu lösen hat, deutlich kleiner.

Ich denke da an Nachschub für die Nationalmannschaft, mehr Spieler für die Ligen, gebremste Lohnspirale, gesteigerte sportliche Konkurrenz.
Da das leider so nicht passieren wird, müssen alle Kräfte im Schweizer Eishockey darauf gebündelt werden, dass wir das ohne Hilfe von oben schaffen. Diesem Anspruch kann sich niemand in der hockeypolitischen Landschaft entziehen. Unsere Voraussetzungen dafür sind gut bis sehr gut. Es fehlt weder an Geld, noch dramatisch an Infrastruktur, schon gar nicht an Leidenschaft und mangelnder Popularität des Eishockeys. Im internationalen Vergleich machen wir selbst im, sich noch nicht auf Augenhöhe befindlichen Bildungssystem, stetige Fortschritte.

Dass es klar gesagt ist: Hätte man, wie eingehend festgehalten, alles falsch gemacht, wären wir nicht dreimal im WM-Final gestanden. Allen, die sich dafür eingesetzt haben, gebühren grosser Respekt und Dankbarkeit. Die Zeit steht aber nicht still. Wir müssen es also in der Konsequenz schlicht und einfach noch besser machen als bisher, adaptierte Wege und Lösungen suchen und noch mehr aus unseren Voraussetzungen machen! Dazu ist es ein Muss, dass das strategische Ziel «Mehr Spieler herausbringen!» von allen priorisiert und konsequent gelebt wird.

Lassen Sie mich zur Anregung der allgemeinen Diskussion ein paar Thesen formulieren:

  • Es braucht landesweit auf jeder Eisbahn Eishockeyschulen, die Jungen & Mädchen erste positive Erfahrungen auf dem Eis vermitteln und sie in diesem Masse begeistern, dass sie eine Lizenz lösen und dem Eishockey möglichst lange erhalten bleiben.
  • Die bestmöglichen Trainer müssen in den Anfängerjahren eingesetzt werden, damit unsere Kinder die Sportart von der Pike auf richtig erlernen.
  • Einsteigertrainer dürfen nicht «Billiglösungen» sein, sondern der Job muss in jeder Hinsicht attraktiv sein.
  • Es braucht mehr Geduld und beharrliche Ausbildung einer grösseren Breite bis hin zum Übergang ins Erwachsenenalter, statt zu frühe Selektionen.
  • Es braucht auf jeder Juniorenstufe Klubs und top ausgebildete, willige Trainer, die das Ziel haben, möglichst viele von ihrer qualitativen Arbeit profitieren zu lassen. 
  • Es braucht den konsequenten Grundsatz «Ausbildung vor Resultat» – die Ausbildung muss möglichst lange vor Siegen, Punkten und Rängen stehen.
  • Eishockey darf im Nachwuchs nicht zu elitär respektive teuer werden und muss allen möglichst lange möglich bleiben.
  • Es braucht im Nachwuchs Leistungsklassen für die Spiele (Beste mit und gegen die Besten). Das darf aber nicht dazu führen, dass die Restlichen mit einem quantitativen und qualitativen Cut abgeschoben werden. Sie müssen weiterhin möglichst gleiche Trainingsvoraussetzungen haben, um den Anschluss zu wahren.
  • Es braucht für den Übergang ins Erwachsenenhockey strategisch speziell dafür ausgerichtete Ligen, Spiel- und Trainingsgefässe.
  • Wer Junge zum Eishockey holt, sie dabei behält und ihnen eine erste Top-Ausbildung ermöglicht, leistet einen enorm wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Sportart. Ergo müssten die ersten Jahre bezüglich der Ausbildungseinheiten und damit dem späteren Kickback an die Vereine so gewichtet werden, dass sie auch finanziell für die kleinen Klubs einen Anreiz und damit hohe Motivation für die Basisarbeit schaffen.
  • Last but not least würde ein Financial Fairplay (Deckelung der Lohnsumme der Topklubs) dazu führen, dass erwirtschaftete Mittel der Grossklubs weniger ungefiltert in die Lohnsummen der Profis fliessen würden, sondern gezielt und damit nachhaltig für erwähnte Nachwuchsmassnahmen eingesetzt werden könnten.

Nicht dass ich meine, ich wüsste alles, hätte damit die Welt neu erfunden oder meine Thesen seien die «Allerweltslösung» oder vollständig. Da gibt es viel bessere und erfahrenere Leute als der Schreibende und auch andere Denkweisen als die Meine. Ich schreibe diese Thesen, weil ich sehe, dass die aktuelle Situation eine Chance bietet und es auch verlangt, eine breit abgestützte Diskussion zu führen. Ich möchte auch in Jahren noch gebannt der Schweiz an der WM zuschauen, mich für die Leistungen der SchweizerInnen in ausländischen Top-Ligen begeistern, eine hervorragende National League verfolgen, mich für eine funktionierende Swiss League erwärmen und mich über ein solides und breites Fundament im Amateur- und Frauenhockey freuen können.

Und ich freue mich auf den 5. Juli und die anschliessenden Freitage im Juli, jeweils um 20:00 Uhr auf MySports EINS. Wieso? Weil diverse Exponenten ihre Auffassungen und Argumente zu aufgeworfenen Themen und ihre Sicht der Dinge darlegen werden!

Auf die Prosperität des Schweizer Eishockeys in den kommenden Jahren und auf breite und neue Generationen von Eishockeypionieren.