Werden die NHL-Goalies immer schlechter?

In seiner neusten Kolumne nimmt Thomas Roost die Goalies genauer unter die Lupe. Woran liegt es, dass die Save-Percentage in den letzten Jahren stetig gesunken ist? Werden die NHL-Goalies immer schlechter oder gibt es andere Gründe?

Die durchschnittliche Save-Percentage in der NHL ist in den letzten Jahren merklich gesunken. In der Saison 14/15 lag sie noch bei 91.5 Prozent. In der laufenden Saison liegt sie bis jetzt bei 90.3 Prozent. Konkret ist sie in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gesunken und zwar wie folgt: 91.5 Prozent - 91.5 Prozent - 91.3 Prozent - 91.2 Prozent - 91.0 Prozent - 91.0 Prozent - 90.8 Prozent - 90.7 Prozent - 90.4 Prozent - 90.3 Prozent. Werden die NHL-Goalies immer schlechter?

Nein, im Gegenteil, sie werden immer besser, resp. das Gros der NHL-Goalies wird immer besser. Früher gab es in der NHL eine Handvoll Top-Goalies, die sich vom Rest klar abgehoben haben. Heute ist der Unterschied zwischen den besten und den nachfolgenden Goalies deutlich kleiner geworden und die Vorhersagen über «Goalieperformances», z.B. in den Playoffs, sind so schwierig wie noch nie. Beispiele hierzu: Adin Hill war vor einem Jahr bei den San Jose Sharks die Nummer drei, wurde dann zu Vegas getradet, wo er auf dem Papier in der Goaliehierarchie als die Nr. vier oder fünf startete. Im Frühling glänzte er beim Stanley Cup Gewinn der Vegas Golden Knights und wurde Drittplatzierter bei der Wahl zur Conn Smythe Trophy (Playoff-MVP). Jordan Binnington begann die Saison 18/19 in der AHL bevor er in der zweiten Saisonhälfte die St. Louis Blues zum Stanley Cup Gewinn «hexte».

Wo liegen die Gründe?

Zurück zu meiner Aussage, dass die Goalies immer besser werden; diese steht im Widerspruch zur aufgezeigten Save-Percentage-Statistik. Die Gründe hierfür: Die NHL hat in den letzten Jahren reglementtechnisch vieles dazu getan, dass die Anzahl Goals pro Spiel steigt und nicht sinkt, d.h. für die Goalies ist das Spiel dadurch schwieriger geworden (restriktivere Goalieausrüstungen, das reglementarische Schützen der «Skilled-Players», der Spektakelmacher, der Scorer, verbessertes Stockmaterial der Spieler). Hinzu kommt die verbesserte Qualität der Skater. Jahr für Jahr verbessert sich die Skills-, Schuss- und Passqualität in den Rostern der NHL-Teams und die Analytics hat auch dazu beigetragen, zu definieren, wie die methodisch starken und gross gewachsenen Butterfly-Goalies in der modernen NHL am besten zu bezwingen sind.

Grundsätzlich hat sich das Spiel der Goalies gegenüber früher drastisch verändert, es wurde irgendwie langweiliger, methodischer, berechenbarer. Die modernen Goalies spielen alle einen vergleichbaren Stil, der grundsätzlich auf einer soliden Technik fusst, vor allem aber die Vorzüge der Körpergrösse und der Ausrüstung in den Vordergrund stellt und in erster Linie auf das Blocken von Shots setzt. Im Spiel eins gegen eins war es noch nie so schwierig, NHL-Goalies zu bezwingen, aber die Skater und deren Coaches haben nicht geschlafen und nach einem wirkungsvollen «Serum» gegen die hervorragenden und gross gewachsenen NHL-Butterfly-Goalies gesucht; doch dazu später.

Blenden wir zurück: Vor ca. 50 Jahren lag die durchschnittliche Körpergrösse bei NHL-Goalies bei 178 cm. Die Durchschnittsgrösse der besten fünf NHL-Goalies in der letzten Saison lag bei 193 cm … Und trotzdem sinkt die Save-Percentage und obwohl ich behaupte, dass die Goalies noch nie so gut waren, wie heute, gibt es von Experten Kritik: Weil die Goalies sich im Stil immer mehr ähneln – sie vertrauen vor allem auf die Technik, die Athletik und weniger auf den Instinkt – sind sie auch dankbare Opfer der Analytiker. Die Goalies sind für die «Shooter» und «Passeure» berechenbarer geworden. Es gibt namhafte Stimmen, die glauben, dass die heutigen Goalies «overcoached» sind und die Goalies ihr Spiel zu stark der Methodik opfern, zu viel hinterfragen und zu wenig auf ihre Instinkte und ihren natürlichen Stil setzen. Was meiner Meinung nach nicht nur für die Skater gilt, sondern auch für die Goalies, ist die grosse Bedeutung der Spielintelligenz, die grosse Bedeutung der Fähigkeit, das Spiel schneller lesen zu können als andere, die grosse Bedeutung auch, im Chaos und unter gewaltigem Zeitdruck instinktiv die bestmögliche Abwehrvariante zu wählen und unter Druck ruhig und mental stabil bleiben zu können; all dies wird auch neurologische und kognitive Intelligenz genannt.

Das «Gegengift», das «Serum»:

Die heutigen Goalies sind grösser, athletisch besser und durch die mittlerweile hohe Anzahl von hochkarätigen Goaliecoaches deutlich besser ausgebildet. Dies erforderte in diesem ewigen «Wettrüsten» eine Antwort der Angreifer, der Forwards und der Offensivverteidiger, sowie der GMs, die ein Team zusammenstellen. Das Geheimnis liegt in der Unberechenbarkeit, in der Variabilität, im Kreieren von Chaos sowie bei den verbesserten individuellen Skills der Forwards und Verteidiger. Strukturierte Angriffsszenen werden bei häufigen Wiederholungen durchschaut und von schlauen Goalies gelesen. «Wenn ein Team bei Breakouts und in Transition zu viel Methodik präsentiert und repetiert, dann ist es für mich als Goalie ein Leichtes, mich darauf einzustellen, es wird berechenbar», so z.B. Connor Hellebuyck. «Ich stelle aber fest, dass die smarten Teams immer mehr auf das Kreieren von unübersichtlichem Chaos setzen: Kontrollierte «Zone-Entries» und dann in hohem Tempo hoch entwickeltes Pass-Spiel, welches die organisierte Defense in ihren Nahtstellen aushebelt und dies mit vermehrtem Ost-West-Passing. Hinzu kommt die mittlerweile hohe Qualität auch der Verteidiger, den Puck nach einer Finte aufs Tor zu bringen und die Qualität der Stürmer, vielschichtigen Verkehr vor dem Tor zu kreieren, sodass nach Schüssen oder Schuss-Passing-Versuchen die Scheibe leicht abgelenkt werden kann und es den Goalies enorm schwer macht», so Hellebuyck weiter. Hinzu kommt, wie bereits vorgängig erwähnt, die laufend verbesserte Qualität der Schüsse. Die heutige Generation der NHL-Schützen ist ziemlich treffsicher betreffend Schüsse über die Schultern bei den Butterfly-Goalies und steuern auch oft die wunde Stelle direkt über dem Beinschoner auf der Blockerseite an. Zudem sind im Vergleich zu früher Top-Schützen in allen vier Linien zu finden. Noch vor zehn Jahren konnten sich die Goalies einigermassen ausruhen, wenn beim Gegner die dritte und vierte Checking-Line auf dem Eis war, auch dies hat sich radikal verändert.

Ausblick:

Zusammenfassend meine Sicht für die Zukunft: Nachdem das «Wettrüsten» die Goalies noch vor zehn Jahren fast unbezwingbar gemacht hat, haben nicht nur die Liga, sondern auch die Skills-Coaches und die Analytiker der Offensivabteilungen wirkungsvolle Antworten gefunden. Es liegt nun an den Goaliecoaches und den Goalies selbst, den nächsten Schritt zu finden, sodass das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlägt. Liegt das Geheimnis in der leichten Relativierung einseitiger Methodik und übersteigerter Priorisierung der Athletik sowie der teilweise zu analytischen Ausbildung (Overthinking, Overcoaching)? Führt die entsprechende Analyse zur vermehrten Wiedergeburt von Instinktgoalies mit überragender neurologischer und kognitiver Intelligenz? Es ist einmal mehr nicht entweder oder, sondern sowohl als auch. Das Erfolgsgeheimnis liegt vermutlich in der passenden Dosis der individuellen Verabreichung, resp. Förderung der verschiedenen Erfolgsfaktoren. Eine anspruchsvolle, aber sehr reizvolle Aufgabe für alle Goaliecoaches, wie auch für die Goalies selbst. 

Thomas Roost ist seit 1996 NHL-Scout für den Central Scouting Service und verfolgt die beste Liga der Welt hautnah.
Für MySports ist Roost als NHL-Experte & Co-Kommentator im Einsatz.
In seiner wöchtenlichen Kolumne «Roosts Ramblings» schreibt er über Themen aus der NHL und der grossen Hockey-Welt.

https://www.thomasroost.com I Twitter: @thomasroost

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